Agile Leadership Agile Organisation

Agile Leadership Teil 1: Den Grundstein legen

Agile Leadership ist ein Ansatz für Führung, der sich auf die Prinzipien und Werte des Agilen Manifests und der Agilen Methoden stützt. Das Ziel von Agile Leadership ist es, Unternehmen und Teams dabei zu unterstützen, in einer sich schnell verändernden und unsicheren Umgebung erfolgreich zu sein. Aber was bedeutet das konkret? In dieser Artikelreihe lesen Sie, welche Entwicklungsschritte zu Agile Leadership führen. Wir beginnen mit den Fundamenten und werfen einen ersten Blick durch die Agile Leadership Brille.

Heute schwirren viele Begriffe im Social Media Universum, in Beraterkreisen, auf Konferenzen und in Artikeln zu Führung herum, die alle mehr oder weniger beschreiben wollen, was Agile Leadership eigentlich bedeutet. So werden oft synonym Begriffe wie „New Work“, „Servant Leadership“, „Adaptive Leadership” oder “Transformational Leadership” gebraucht, um nur einige zu nennen. Die begriffliche Vielfalt trägt natürlich nicht dazu bei, ein klareres Bild zu erhalten.

Eine überall akzeptierte Definition von “Agile Leadership” zu etablieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Als Orientierungshilfe beschreibe ich Ihnen aber gerne, was wir bei KEGON unter Agile Leadership verstehen und wofür man es einsetzen kann. Kurz zusammengefasst: Agile Leadership ist nach unserem Verständnis darauf ausgelegt, im komplexen Umfeld bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Unternehmen im Markt langfristig erfolgreich machen. Es zielt darauf ab, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und kontinuierliche Verbesserung zu fördern.

Die folgenden Themen sehen wir als Grundsteine für Agile Leadership: Komplex von kompliziert unterscheiden, mit Prinzipien und Werten arbeiten, Systeme verstehen, Fokus setzen mit Hilfe von Weglassen und Aufhören sowie psychologische Sicherheit. 

Bei komplexen Herausforderungen helfen komplizierte Lösungen nicht

Leider werden die Begriffe „komplex“ und „kompliziert“ oft synonym verwendet. Es gibt aber signifikante Unterschiede, die sich ganz wesentlich auf die Konsequenzen auswirken.

"Kompliziert" beschreibt etwas, das schwer zu verstehen oder zu bewältigen ist, weil es eine hohe Anzahl von Details, Schwierigkeiten oder Feinheiten beinhaltet. So sind beispielsweise technische Herausforderungen kompliziert, etwa der Aufbau einer Fertigungsstraße, ein chirurgischer Eingriff, die Berechnung des Landemanövers einer Rakete auf dem Mond, das Zusammenbauen eines großen Lego-Modells oder die Entwicklung von Software-Code.

„Komplex“ hingegen ist etwas, das nicht nur eine Vielzahl von Einflussfaktoren haben kann, sondern bedeutet darüber hinaus, dass sich diese Elemente verändern, miteinander interagieren und gegenseitig beeinflussen können. Es können neue Elemente hinzukommen oder welche wegfallen. Die Ursache-Wirkungszusammenhänge sind nicht mehr nachvollziehbar. Das Gesamte ist mehr als nur eine Summe der Einzelteile. Komplexe Herausforderungen sind z.B. das Aufhalten des Klimawandels, die Eindämmung der Covid-Pandemie, das erfolgreiche Wirtschaften am Börsenmarkt, das glückliche Familienleben, die Berechnung der schnellsten Route während der Rush Hour durch eine Stadt oder das Herstellen von Chancengleichheit am Bildungsmarkt.

Wenn Sie jetzt denken, dass Sie als Führungskraft ausschließlich komplizierte Herausforderungen haben, weil Ihre Mitarbeitenden ja eh Software programmieren, dann muss ich Sie enttäuschen. Alle sozialen Systeme sind komplex, egal ob das eine Familie, ein Arbeitsteam, ein Verein oder Ihr Unternehmen ist. Und als Führungskraft führen Sie ja nicht Software-Programme, sondern Teams oder Unternehmensteile. Jeder Mitarbeiter kommt mit einem eigenen Paket an Lernerfahrungen, Weltbildern, Vorstellungen und Ideen an den Arbeitsplatz und gemeinsam soll dann im Zusammenspiel Wert geschaffen werden. Den Rahmen dazu setzen Sie als agile Führungskraft.

Prinzipien statt Regeln

In vielen Unternehmen wird das aber leider anders gelebt. Man wendet Techniken aus der komplizierten Welt auf die komplexe an. Werkzeuge, um komplizierte Probleme zu lösen, sind bspw. Checklisten, Regeln und Vorschriften, Anleitungen oder langfristige Roadmaps und Planungen. Einen Team-Konflikt kann man aber damit nicht lösen, ebenso wenig wie fehlendes Vertrauen, zu wenig Verantwortungsübernahme oder Innovationsbereitschaft. Wenn Sie da als Führungskraft mit Ansätzen zur Lösung von komplizierten Problemen daherkommen, sind Sie zum Scheitern verurteilt. Wie schön wäre eine Checkliste für Verantwortungsübernahme, ein Verbot von Konflikten, oder eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Vertrauen! In meinen Führungskräfte-Coachings höre ich oft Aussagen wie: „Ich habe meinem Team / meinem Mitarbeiter jetzt schon hundertmal gesagt, wie sie es tun sollen.“ Ein typisches Beispiel für eine komplizierte Lösung (Anleitung) auf ein komplexes Problem, die leider so nicht funktioniert.

Alleine diese Tatsache weist schon darauf hin, dass wir neue Führungsantworten brauchen. Anleitungen, Bürokratie und Befehle zeigen nicht bzw. nur kurzfristig die erwünschten Veränderungen. Denn Hand aufs Herz: Wer hat denn Lust darauf,  Verantwortung übernehmen in einer überbürokratisierten Umgebung, in der die Führungskräfte mit Command & Control regieren?

Eine dieser Führungsantworten lautet: Nicht noch mehr Regeln vorgeben, sondern Leitplanken setzen. Ein Beispiel, das wohl die meisten kennen, ist die Reisekosten-Policy. Hier wird akribisch festgeschrieben, in welcher Hierarchiestufe welche Reisekonditionen gebucht werden dürfen. Das bedeutet nicht nur für die Reisenden viel Aufwand in der Informationsbeschaffung, sondern auch in der Administration viel Aufwand in der Aktualisierung und Kontrolle. Ein prinzipienbasierter Ansatz könnte sein: Optimierung der Reisekosten unter Berücksichtigung von Effizienz und angemessenem Komfort, unter voller Transparenz über die Reiseentscheidung. Ein solcher Ansatz ermöglicht es den Mitarbeitenden, eigenverantwortlich zu handeln und ihre Reisekostenentscheidungen auf der Grundlage von gemeinsamen Prinzipien zu treffen.

Das System managen, nicht die Menschen

Wenn Sie Menschen führen, haben Sie es immer mit komplexen sozialen Systemen zu tun. Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass soziale Systeme verbessert werden können, indem man deren Einzelteile verbessert – in diesem Fall die Menschen. Darin verbergen sich gleich zwei gravierende Irrtümer:

Erstens ist ein System mehr als die Summe der Einzelteile. Wenn Sie an eine Fußball-Mannschaft denken, und für ein perfektes Team die besten Spieler der Welt einkaufen, wird daraus nicht automatisch die beste Fußball-Mannschaft. Ganz im Gegenteil, jeder der Spieler wäre bemüht, seine eigene Karriere voranzubringen und agierte hauptsächlich im eigenen Sinn. Was die Mannschaft brauchen würde, stünde im Hintergrund. Daher muss man, um ein soziales System zu verbessern, am gesamten System arbeiten und ein klares Ziel für die Verbesserung definieren.

Und zweitens sind nicht die Menschen selbst die ausschlaggebenden Einzelteile eines Systems, sondern deren Beziehungen miteinander. Damit sind die Interaktionen und Kommunikation gemeint. Wenn die Systemstruktur diese hemmt, z.B. durch Abteilungssilos, Meetingstrukturen, Bonusprogramme, etc., dann funktioniert eine Verbesserung der Beziehungen nicht, wenn einzelne Personen in Kommunikationstrainings gesteckt werden. Vielmehr muss darauf geachtet werden, wie die Kommunikation und Zusammenarbeit fließen und wo sie stocken. Hier finden sich Ansatzpunkte für Verbesserungen, und nicht aber im Kommunikationsverhalten einzelner Personen.

Weglassen und Aufhören als Voraussetzung

Aus den oben beschriebenen Grundlagen zu agiler Führung kann man nun eine Vielzahl an Handlungen ableiten. Auch die agile Transformation Ihrer Organisation stellt Sie vor jede Menge fachlicher Herausforderungen. Neue Arbeitsmethoden, Artefakte und Events fordern nicht nur Sie, sondern auch Ihre Teams und bringen Unruhe in den Arbeitsalltag. Die mentale Belastung, die durch eine Transformation hinzu kommt, ist gewaltig, ganz zu schweigen von der Belastung, die davor schon da war.  

Daher ist es Ihre Aufgabe als agile Führungskraft, zu entscheiden, was weggelassen werden muss - sprich, worauf der Fokus gelegt und die gesamte Arbeitskraft ausgerichtet wird - und was aufgehört werden muss, wenn etwas Neues begonnen wird. Als Faustregel gilt: Für jedes neue Meeting oder Artefakt, das eingeführt wird, wird ein altes aufgehört. 

Ohne psychologische Sicherheit geht gar nix

Die wichtigste Aufgabe einer agilen Führungskraft aber ist die Förderung der psychologischen Sicherheit in ihren Teams. Laut der Definition von Amy Edmondson (Harvard Business School Professorin und Autorin des Buches „Die angstfreie Organisation“) ist Psychologische Sicherheit die Überzeugung, dass man nicht bestraft oder gedemütigt wird, wenn man seine Ideen, Fragen, Bedenken oder Fehler äußert. Man kann es auch als gefühlte Erlaubnis zur Offenheit bezeichnen.

Als agile Führungskraft ist es Ihre Aufgabe, mit gutem Vorbild voranzugehen. So können Sie beispielsweise durch Verlässlichkeit und Kongruenz Vertrauen herstellen, das die Basis für Psychologische Sicherheit bildet. Durch Ihren Umgang mit Fehlern, Unsicherheiten und Abhängigkeiten setzen Sie die Leitplanken und Erwartungen im Team. Wenn Sie selbst Schwächen zugeben oder eingestehen, dass Sie etwas nicht wissen oder einschätzen können, zeigt das den anderen Ihre Offenheit. Wenn dies jemand anderer macht, und Sie Wertschätzung und Dankbarkeit zeigen (im Gegensatz zu Blamieren, Anprangern, Schlechtmachen – egal ob verbal oder nonverbal), ermutigt es, weiterhin offen zu sprechen.

Im nächsten Teil der Reihe "Agile Leadership" lesen Sie mehr über "Psychologische Sicherheit" und weitere psychologische Faktoren, die für Agile Leaders elementar sind.

Wenn Sie sich für das Thema Agile Leadership begeistern, oder wenn Sie einfach mehr über die in diesem Artikel genannten Aspekte wissen wollen: In unseren Workshops und Spotlight-Trainings behandeln wir diese Themen umfassend und lassen viel Raum zum Üben und Diskutieren. Ich würde mich freuen, Sie dort zu treffen.

Übersicht unserer Trainings zum Thema Agile Leadership


Autor: Susanne Bauer, Management Consultant bei KEGON